Mit digitaler Jugendarbeit den digitalen Wandel (mit-)gestalten

Vielerorts macht sich die Zoom-Fatigue breit, eine Ermüdung, sich nur online in Videokonferenz-Formaten treffen und nur so gemeinsam arbeiten zu können. Das gilt auch für die Jugendarbeit in ihren vielen unterschiedlichen Formen. So scheint das „Digitale“ nach gut einem Jahr Pandemie auch in der Jugendarbeit an ein Ende gekommen zu sein.

Mit diesem Beitrag soll aber konträr zu diesem Eindruck argumentiert werden, dass genau jetzt der Zeitpunkt ist, das was „digitale Jugendarbeit“ meint, ernsthaft anzugehen. Denn mit den Erfahrungen während der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen liegen sowohl Vor- und Nachteile, Herausforderungen und Potenziale des digitalen Wandels für die individuelle Lebensführung wie auch für soziale Vergemeinschaftungsformen wie Gesellschaften oder Organisationen (der Jugendarbeit) auf der Hand.

Diesen gesellschaftlichen Wandel zu reflektieren und auf dieser Grundlage Ansätze der Jugendarbeit entlang der klassischen Ziele, Persönlichkeitsentwicklung der Adressat*innen unterstützen und ihre Teilhabe an der Gesellschaft fördern, an der Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen weiterzuentwickeln, ist die Kernidee von digitaler Jugendarbeit. Damit bleibt digitale Jugendarbeit als Handlungsansatz auch nach Ende der Kontaktbeschränkungen hochaktuell.

Eine breite Definition von digitaler Jugendarbeit

Entsprechend der Arbeitsdefinition einer EU-Expertengruppe (Europäische Kommission 2018) meint digitale Jugendarbeit „die proaktive Nutzung und/oder Auseinandersetzung mit digitalen Medien und Technologien in der Jugendarbeit als Werkzeug, Aktivität und/oder Inhalt“ (Projektkonsortium Digital Youth Work 2019). Aktuell steht mit Videokonferenzen und Messengern vor allem die Nutzung von digitalen Medien als Werkzeug im Vordergrund – und offenbart auch Limitationen dieser Kontaktformen.

Wenn digitale Medien und Technologien selbst den Fokus des Angebotes darstellen, strukturieren diese stark die Aktivität – wie das bei Online-Spielgruppen oder Making-Projekten der Fall ist. Schließlich können die Erfahrungen mit digitalen Medien oder auch die Reflexion von gesellschaftlichen Wandlungsprozessen in den Fokus gerückt werden und damit digitale Medien und Technologien zum Gegenstand oder eben Inhalt von Angeboten der Jugendarbeit gemacht werden.

Zusammengenommen meint damit digitale Jugendarbeit, dass diese die Digitalisierung und den digitalen Wandel von Institutionen, Ansätzen und Praktiken der Jugendarbeit in den Fokus nimmt.

Entwicklungsanforderungen für Organisationen und Aktive

Deutlich haben die Erfahrungen während der Kontaktbeschränkungen gezeigt, dass neben individuellen Kompetenzen auch organisationale Rahmenbedingungen notwendig sind, um passgenau digitale Medien für die oben genannten Ziele nutzen zu können. Zwar fiel es abhängig von individuell angeeigneten Kompetenzen durchaus unterschiedlich leicht, mit digitalen Medien Angebote der Jugendarbeit zu gestalten oder moderieren. Zugleich weisen viele Fragen über die individuelle Verantwortung der Haupt- und Ehrenamtlichen hinaus.

Dies gilt beispielsweise für Fragen der digitalen Infrastruktur, aber auch solcher Aspekte wie einer organisationsweiten Klärung, welche Haltung gegenüber dem digitalen Wandeln eingenommen wird (bzw. weniger pauschal gegenüber bestimmten Facetten des digitalen Wandels). Daraus würde sich auch ableiten, ob und wie Fortbildungs- und Unterstützungsangebote zum Thema entwickelt werden oder welche Kooperationen mit welchen Akteuren im Feld gesucht werden.

Schon 2014 entwickelten Nadia Kutscher und Kollegen eine Grafik, die verdeutlicht, in welch unterschiedlichen Bereichen der digitale Wandel bzw. durch diesen stimulierte Mediatisierungsprozesse Jugendarbeit betreffen (Kutscher et al. 2015). Nach wie vor ist diese Systematisierung hilfreich, um zu differenzieren, in welchen Bereichen digitale Medien welche Potenziale oder auch Hürden bergen.

Perspektiven nach der Krise

Viele Angebotsformate der Jugendarbeit passen nicht in eine Videokonferenz. Entsprechend ist es richtig und wichtig, für die Weiterentwicklung von Perspektiven neuer und passgenauer Angebote der digitalen Jugendarbeit folgende drei Aspekte herauszugreifen:

Erstens muss es darum gehen, die gesammelten Erfahrungen möglichst systematisch zu reflektieren. Hierzu stehen auch bereits Materialien bereit, die für das jeweils relevante Arbeitsfeld angepasst werden können. Wichtig ist dabei auch, nicht nur die Perspektive der Haupt- und Ehrenamtlichen einzubeziehen, sondern auch die der Adressat*innen der Angebote. Um hier auch Potenziale für das Erreichen weiterer Teilnehmer*innen zu identifizieren, wäre es dabei auch sinnvoll, jenseits des Kreises der bisher erreichten Teilnehmer*innen zu denken.

Zweitens sollten auch längerfristig Möglichkeiten des Austausches zwischen den Aktiven etabliert werden. So ist es möglich von guten Beispielen zu lernen (hierfür stehen auch medial aufbereitete Beispiele unter www.digitalyouthwork.de bereit). Ebenso wichtig ist es aber auch, Räume zu schaffen, in denen ein Austausch über gescheiterte Ansätze stattfinden kann und aus diesen gelernt werden kann – nicht nur individuell, sondern auch als Organisation.

Drittens sollten Unterstützungsangebote durch Organisationen der Jugendarbeit und ihre Partner auf- und ausgebaut werden. Dies bezieht sich auf infrastrukturelle Unterstützung wie auch auf den fachlichen Support. Ein Beispiel in diesem Bereich ist sicherlich der Aufbau der Plattform DINA für die internationale Jugendarbeit (dina.international), zu dem sich mehrere Träger aus diesem Arbeitsfeld zusammengeschlossen haben, um eine sowohl datenschutztechnisch als auch organisational für die Arbeitsweise der internationalen Jugendarbeit passende Plattform zu entwickeln. Als fachliche Unterstützungsstruktur in Bayern sind hier sicher die Medienfachberater*innen in den Bezirken zu nennen, die hier eine Unterstützung leisten können.

All diese Aktivitäten zielen darauf, dass Jugendarbeit ein Feld wird, in dem junge Menschen erleben, dass der gesellschaftliche Wandel, der mit der zunehmenden Bedeutung von digitalen Medien und Technologien verbunden ist, gestaltbar ist – auch von jungen Menschen.

Autor des Beitrags:
Niels Brüggen
 
Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft, Informatik und Erziehungswissenschaft an der Universität Leipzig und der Dublin City University.
Schwerpunkte: Wie eigenen sich Heranwachsende Medien an, welche Lebensführungschancen darin liegen und wo Unterstützung zur Bewältigung von Herausforderungen nötig ist.

JFF – Institut für Medienpädagogik
Arnulfstr. 209

80634 München

tel: +49 89 68 989 130

niels.brueggen@jff.de


0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar