Jungen Menschen wird häufig eine Distanz zu Politik und ein fehlendes Engagement unterstellt. Die Wahlbeteiligung bei den Jung- und Erstwählern ist de facto niedriger als in der Gesamtbevölkerung. Betrachtet man genauer, welche Faktoren die Entscheidung beeinflussen, zur Wahl zu gehen, wird jedoch deutlich, dass das Angebot an junge Menschen seitens der Politik sehr gering ausfällt und die Stimmabgabe erschwert. Regina Renner  (BJR) ordnet im neuen bai für uns ein. Jetzt auch hier zu lesen:

 

Was beeinflusst die Entscheidung zur Wahl zu gehen?

Aus der Perspektive des sogenannten sozialpsychologischen Ansatzes zur Erklärung von Wahlverhalten prägen drei Faktoren maßgeblich die grundsätzliche Entscheidung zur Wahl zu gehen: eine grundsätzliche Zuneigung zu einer Partei/einem Parteilager, die Sympathie und Kompetenz des politischen Personals, sowie die politischen Inhalte. Trifft das Angebot an Inhalten, Parteien oder Kandidat_innen nicht die eigenen Vorstellungen, sinkt die Wahrscheinlichkeit zur Wahl zu gehen.

Bei der Fragestellung, weshalb junge Menschen nicht zur Wahl gehen, müssen deshalb nicht nur die individuellen Einstellungen berücksichtigt werden, sondern auch in Betracht gezogen werden, welche Angebote an Kandidat_innen und Inhalten die Parteien den jungen Menschen unterbreiten.

 

1. Nachlassende Parteibindung: Stammwähler_innen waren gestern

Je stärker die Zuneigung zu einer bestimmten Partei oder einem bestimmten Parteilager ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit zur Wahl zu gehen, denn damit besteht ein höheres Interesse diese Partei auch zu politischer Macht zu bringen.

Bei Jugendlichen ist die Parteibindung in der Regel noch nicht sehr stark ausgeprägt. Dies verwundert nicht, denn in der Phase der politischen Sozialisation entwickeln sich die eigenen Ansichten gerade. In der Auseinandersetzung mit verschiedenen Parteien kann sich damit erst zunehmend eine generelle Zu- oder Abneigung entwickeln. Eine geringe Parteibindung ist jedoch kein jugendspezifisches Phänomen: alle Parteien haben an Stammwähler_innen verloren, die Parteibindungen sind in der Bundesrepublik Deutschland in der gesamten Bevölkerung stark zurückgegangen. Ohne eine feste Parteibindung ist das Wahlverhalten weniger stabil. Die Stimmabgabe hängt damit stärker von kurzfristigen Faktoren, wie der Positionierung zu aktuellen politischen Streitthemen und der Einschätzung der Kandidat_innen ab.

 

2. Politikerinnen und Politiker: wo bleibt die Jugend?

Politik lebt nicht nur von propagierten Inhalten der Parteien, sondern auch von sympathischen Personen, die diese Inhalte glaubwürdig vertreten und kompetent umsetzen können. Wenn keine Identifikation mit dem politischen Personal vorhanden ist, sinkt die Wahrscheinlichkeit, zur Wahl zu gehen.

Ein Punkt der Identifikation stellt die eigene Lebenslage dar. Zwar sind Lebenssituationen vielfältig und vielschichtig, jedoch trägt auch das Lebensalter zu diesen Umständen bei, die gewisse Rahmenbedingungen setzen. Betrachtet man die Altersstruktur der Abgeordneten im 19. Deutschen Bundestag mit der Altersstruktur der Gesamtbevölkerung wird deutlich, dass junge Menschen unterrepräsentiert sind (vergleiche Abbildung 1):

Abbildung 1: Altersstruktur der Bundestagsabgeordneten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Quelle: eigene Darstellung auf Basis der Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) 2018 und des Deutschen Bundestags[1]

Die beiden jüngsten Abgeordneten sind 25-26 Jahre alt. Rund 16,3% der jungen Menschen unter 18 Jahren sind aufgrund des fehlenden Wahlrechts gänzlich nicht in der Politik vertreten. Auch die rund 9% jungen Menschen im Alter von 18 bis 26 Jahren sind mit 0,4% der Abgeordneten in dieser Altersgruppe im Bundestag unterrepräsentiert.

 

3. Politische Inhalte: Themen, die die Jugend bewegen

Politische Repräsentation muss jedoch nicht zwangsweise bedeuten, in der gleichen Lebenslage oder im gleichen Lebensalter zu sein. Vielmehr geht es darum, dass von den Repräsentant_innen im Parlament die Inhalte der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen vertreten werden.

Was sind die Anliegen junger Menschen? In der Begleitstudie zum Modellprojekt Onlinepartizipation des Bayerischen Jugendrings wurden rund 1.000 junge Menschen im Alter von 14-27 Jahren in 20 bayerischen Gemeinden gefragt, was ihrer Ansicht nach das wichtigste Problem in ihrer Gemeinde sei, dass gelöst werden müsste.

Die befragten jungen Menschen sehen vor allem einen Bedarf im Erhalt und Ausbau der Infrastruktur vor Ort, die sie vor allem auch im Zuge des demographischen Wandels zunehmend bedroht sehen, wie wohnortnahe Einkaufsmöglichkeiten, den Erhalt von Schulen, den Ausbau von Kindertagesstätten, Leerstände und das Aussterben von Ortskernen. Zudem beschäftigt sie die Gewährleistung der Infrastruktur zur Ermöglichung von Mobilität, wie den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, von Fahrradwegen und Straßen, wie auch Freizeitmöglichkeiten für junge Menschen und die Unterstützung ehrenamtlichen Engagements. Zentral sind für die befragten jungen Menschen sind außerdem der Breitbandausbau, sowie bezahlbarer Wohnraum.

Diese Themen junger Menschen finden in Wahlkämpfen oder im politischen Diskurs nur selten einen großen Raum. Die fehlende Repräsentation der Altersgruppe der jungen Menschen in den politischen Gremien spiegelt sich somit auch in der überwiegenden Anzahl der politischen Diskurse wider. Die Themen, die junge Menschen bewegen, sind selten präsent. Wenn jedoch die angebotenen Themen Wähler_innen nicht ansprechen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass diese auch zur Wahl gehen.

Jugend an Politik: Gebt uns ein jugendgerechtes Angebot

Die Frage, ob Personen zur Wahl gehen und sich für Politik interessieren ist keine Einbahnstraße. Auch die politischen Mandatsträger_innen, sowie die Parteien tragen eine Verantwortung, mit ihrem Personal und ihren Inhalten alle Bevölkerungsgruppen anzusprechen und zu repräsentieren. Nur dann können die Wahlberechtigten ihr Mandat auch politischen Repräsentant_innen übertragen.

Gerade die Gruppe der jungen Wähler_innen steht jedoch selten im Fokus der Politik. So sind sie einerseits in politischen Ämtern in den meisten Parteien, wie auch in den Parlamenten – von kommunaler Ebene hin bis zur europäischen Ebene – unterrepräsentiert. Diese Ungleichgewicht schlägt sich zudem in der konkreten Politik wider: Die jugendpolitische Sichtweise auf verschiedene Politikfelder rückt selten in das Blickfeld. Letztlich spricht auch die Struktur und Arbeitsweise der Vielzahl der Parteien junge Menschen und vor allem Frauen wenig an. Im Gegensatz zu bspw. der Jugendverbandsarbeit haben sich Parteistrukturen kaum verändert. Gerade vor dem Hintergrund veränderter Lebensumstände junger Menschen und einem Wandel von ehrenamtlicher Tätigkeit erschweren viele Parteistrukturen das Engagement.

Die Jugendverbandsarbeit zeigt, dass junge Menschen politisch engagiert sind und sich einbringen wollen. Neben dem Ausbau des Angebotes an politischer Bildung, das junge Menschen dabei unterstützt, eigene Ansichten zu entwickeln und sich mit den Angeboten der Parteien auseinanderzusetzten, bedarf es allerdings auch einer größeren Aufmerksamkeit für die Anliegen der künftigen Generationen. Ohne ein adäquates Angebot an Alternativen, die die Anliegen junger Menschen vertreten, ist es schwer für diese, eine politische Heimat zu finden und ihr Mandat an gewählte Repräsentant_innen zu übertragen.

 

 

Regina Renner

Zur Autorin: Regina Renner, M.A.

Sie ist Referentin für Partizipation beim Bayerischen Jugendring K.d.ö.R. und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Julius-Maximilians Universität Würzburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind politische Kultur, Wahlverhalten und politische Partizipation junger Menschen.

 

 

[1]https://www.bundestag.de/blob/272474/4a216913aff5f5c25c41572257a57e4a/kapitel_03_02_durchschnittsalter-pdf-data.pdf


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